Omía ist mein Menschenname.
Mein Vater ist allein, die Mutter tot.
Ich weine nachts.
„Mein liebes Kind, wann lachst du endlich wieder.“
Der Vater trostlos.
Ich habe keine Lust auf unsrer Südseeinsel.
Ein warmer Wind, und ich bewege mich im Tanze.
Ich sehe: Wenn ich tanze, bin ich wieder froh.
Der Vater glücklich.
Ich tanze jeden Tag und jede Stunde.
Bald ist die Insel viel zu klein.
„Oh Vater, lass mich gehen! Ich will die Welt und ihre Tänze sehen.“
Los. Doch mit Begleitung.
Wir fahren auf der Fähre übers Wasser.
Ich winke. Am Ufer ein Punkt.
Die See ruhig, tagelang.
Doch dann ein Sturm.
Wir überleben kaum.
Erschöpft an einer Insel angekommen.
Wilde. Kannibalen.
Wir retten unser Fleisch und fliehen in den Dschungel.
Die Insel ist nur zur Hälfte eine.
Wir schreiten also in das weite Land.
Zivilisierte Völker, braunäugig.
„Willkommen, seid willkommen“,
ruft uns der Kaiser zu.
Ashoka heißt er.
Der Herrscher zeigt uns seine Gärten.
Ich tanze zwischen Blumenbeeten,
im Mondschein.
Nachts träume ich:
Ein Elefant, der mich verfolgt.
Tiefschwarze Augen. Und plötzlich sehe ich mich selbst mit Elefantenblick.
Wir bleiben lange bei Ashoka.
Und mein Bewacher will hier gar nicht weg.
Ich tanze mit den Mädchen.
„Wir müssen weiter.“
Er schüttelt mit dem Kopf und geht davon,
betrunken.
Ich reise ganz alleine weiter. Ich fliehe.
Und irre einsam durch den nassen Wald.
Die Haut am Dornenbusche aufgerissen.
Ich leide keinen Durst und keinen Hunger.
Doch wilde Tiere lassen mich nicht ruhig schlafen.
Die nasse Erde ist von Tigerkrallen aufgerissen.
Wildes Knurren. Ich fühle mich verfolgt von einem Dämon.
So oft wünsch ich mir einen Freund, der mich beschützt.
Nach einer Mittagsrast werf ich Bananenschalen fort.
Ein Dorf. Ein Dorf von Ureinwohnern.
Die Häuptlingsfrau nimmt mich auf.
Sie heißt Mionia.
Die Dorfbewohner tanzen ihre Tänze.
Mitgerissen.
Bald tanz ich nur noch so wie sie.
Und ich vergesse bald, woher ich komme.
Ich vergesse, wer ich bin.
Ich tanze tausendjahre alte Tänze.
Mionia ist meine Mutter, sie flüstert mir Geheimnisse ins Ohr.
„Es werden bald Soldaten kommen, sie vertreiben uns,
und brennen unser Dorf zu Asche.“
So kommt es. Eines Tages sind die Dämonen da.
Sie töten.
Ich muss alleine fliehen und laufe mit Tränen im Gesicht davon.
Ich höre wieder Tigerschreie mich verfolgen.
Nachts zittere ich. Fürchterliche Angst.
Verlorensein.
Ich folge stets dem Sonnenlicht nach Norden.
Vergesse mich in Nicht-Gedanken. Wilde-Früchte-Essen.
Und eines Abends plötzlich Tigeraugen da. Sie starren.
Gestarre, welches näher kommt.
Erstarren.
Ich atme kaum. Augen zu.
Und plötzlich ist da Kampfgetöse. Ich höre Tigerbrüllen, Tiergeschrei.
Mit Vorsicht hinterm Baum hervorgucken.
Ein Elefant steht meinem Tod im Wege.
Der Riese treibt den Tiger in die Flucht.
Und Stille.
Ich sehe schwarze Augen. Menschenaugen?
Nein, Elefantenblick. Und doch so vieles mehr.
Ich zittere, bezwinge alle Angst und komme näher.
Den Rüssel legt das Tier mir auf den Kopf.
Ich folge meinem Retter, raus aus dem Walde.
Savanne. Weit und breit kein Mensch.
Nur ich im Elefantenschatten.
Wir wandern tagelang den Fluss entlang.
Ich esse trockne Blätter.
Der Elefant bricht Zweige ab.
Und dann, so unvermittelt, wieder Menschenstimmen.
Nachts kommen wir im Dorfe an.
Die Menschen schwarzer Haut, Augen schwarz.
Wir bleiben. Täglich Elefantenwäsche.
Es regnet aus dem Rüssel.
Die Dorfbewohner ehren Elefanten. „In ihren Augen ist des Lebens Schlüssel.“
Den schwarzen Menschen zeig ich meine Tänze.
Und lerne ihre Opfertänze tanzen.
Ich trage einen Rock aus Baumrinde.
Die Menschen hier sind ohne Namen.
Doch jeder Elefant, den sie erspähen,
wird achtungsvoll benannt.
So wird mein Retter Tigerklaue genannt.
Ich schmunzle.
Wenn ich tanze, steht Tigerklaue da und schützt mich vor der Sonne.
Bald tanzt er mit, und dreht sich stets im Kreise.
Wir treten auf.
Beifall. Freudenrufe.
Ein alter Weise wohnt im Dorfe.
Wir lachen oft zusammen. Reden oft.
Und eines Tages nimmt er mich hinaus in die Steppe.
Der Wind reißt trockne Erdenklumpen mit.
Mein langes Haar tanzt wie im Sturme.
Der Alte geht nicht mehr.
Er hat die Augen zu. Wir stehen still.
Und plötzlich rührt er sich,
Und tanzt geheimnisvoll.
Noch niemals etwas ähnliches gesehen.
Der Alte tanzt verbissen, reißt mich mit.
Wir tanzen still. Die Abendsonne brennt.
„Es ist der Elefantentanz. Wenn du ihn tanzt, dann wird dein Leben leichter.
Wenn du verloren bist, nicht weiter weißt, dann tanz! Und du bist frei!
Dann siehst du, wo du schreiten kannst.“
Ich tanze fort und sehe, dass ich weiterziehen muss.
Der Elefantenschatten muss im Dorfe bleiben.
Ich geh nach Norden.
Und da ist eine Stadt. Ein großer Platz.
Ich setze mich auf gesteinte Treppen. Ausruhen.
Verspüre plötzlich einen Drang und tanze los.
Ich tanze, wirbele umher, vergesse mich in der Bewegung.
Die Welt, wie ich sie kenne, ist nicht mehr.
Erlöst.