Was ist Alltag? Auf den ersten Blick deckt das Wort selbst die Bedeutung auf. Alltäglich ist das Leben dann, wenn es vom Menschen in all seinen Tagen gelebt wird. Wir nehmen also die Summe der Tage, die einem Menschen im Leben bestimmt sind und vermischen diese. Ist die so erhaltene Mixtur also Alltäglichkeit? Wohl kaum, denn wir hätten lediglich unzählige, aus der Zeit herausgegriffene Momente, aus denen sich diese Tage zusammensetzen.
Natürlich würden wir beim Durchsehen dieser Momente, dieser Fotografien des Lebens, ziemlich genau sagen können, wo dieser Mensch sich am meisten aufhielt, welchen Beschäftigungen er am häufigsten nachging, sogar welche Gefühle und Gedanken ihn regelmäßig aufsuchten. Wir würden vielleicht einen Eindruck von seinem Charakter, seinen Vorlieben und Abneigungen, Gewohnheiten und Bestrebungen erhalten. Und dann könnten wir wahrscheinlich sagen: Der Alltag dieses Menschen bestand aus diesen und jenen Tätigkeiten. Alltag wäre dann durch die Summe dieser Verrichtungen definiert.
So betrachtet ist die Atmung die häufigste Tätigkeit des Menschen und könnte der Inbegriff des Alltäglichen sein. Das Atmen und der Alltag sind beide immer gegenwärtig. Die Atmung passiert einem ständig, so wie der Alltag unterschwellig immer da ist. Man merkt nicht, dass man atmet, bis man seine Aufmerksamkeit darauf richtet. Dann kann man die Atmung manipulieren, sie anhalten, beschleunigen usw.
Ähnlich verhält es sich mit dem Alltag: Solange die Aufmerksamkeit nicht auf das Alltägliche gerichtet ist, bestimmt es den Menschen. Sobald der Mensch sich im Alltag gefangen sieht – und das geschieht zwangsläufig, denn die Langeweile ist oftmals offenbarend – kann der Mensch versuchen, sein Leiden am Einerlei des Alltäglichen zu lindern, indem er Zerstreuung sucht, indem er den Alltag durch Unalltägliches aufzulösen und zu überwinden sucht. Er tut einiges, um das Alltägliche zu manipulieren. Das gelingt ihm kurzzeitig und immer nur für den Augenblick.
Der Mensch gleicht dabei einem Ertrinkenden, der sich für einen Moment an die Oberfläche kämpft und nach Luft schnappt, um sogleich von den Wassermassen verschlungen zu werden. Was der Mensch oft übersieht ist die Tatsache, dass er dem Alltäglichen nicht entfliehen und es nicht auslöschen kann, er ist ihm gänzlich ausgeliefert.
Und so stellt sich die Frage: Was ist der Alltag wirklich? Ist es die Summe unserer täglichen Tätigkeiten oder ist es etwas Tieferes, etwas, was über das bloße Was hinausgeht und eine Weise zu sein meint, das Wie des Seins? Man fragt nicht mehr nach den einzelnen Momenten, aus denen sich das Alltägliche zusammensetzt, sondern nach der Art und Weise, wie sich diese Momente in der Zeit entfalten. Der Alltag könnte für das Dasein in der Zeit stehen, aber genauso könnte er doch auch das genaue Gegenteil sein – eine Art von Ewigkeit oder Dasein außerhalb der Zeit.
Letztlich gibt es Bereiche des Alltags, die nicht einfach analysiert und in Worte gefasst werden können. Dort, in der summenden Stille, könnten wir vielleicht dem wahren Wesen des Alltäglichen am nächsten kommen.